In den ersten sieben Ausgaben der Zeitschrift "Bücher" standen meine sieben Beiträge zur Kolumne "Überschätzte
Bücher": Polemiken auf Bestseller (gerne Schullektüren).
Hier die unredigierten Fassungen.
Überschätzte Bücher, Bücher 3/2004, Essen, März 2004.
Erich Fromm: Die Kunst des Liebens
Zur Konfirmation oder zum Abitur bekommt jeder Teenager dieses Buch
geschenkt, meist von neidischen Oldies, die den Zeigefinger heben.
Liebe als permanente Aktivität und Arbeit am innersten Selbst
zu betrachten, setzt uncoole hohe Maßstäbe. Wenn dann auch
noch der "Akt des Erlebens des Einsseins mit Gott" die Vorlage der wahren Liebe
bilden soll, reißen alle bloß Verknallten die Latte. Fromms
Weltbestseller aus dem Jahr 1956 ist ein hinterhältiger Persönlichkeitstest:
Wer ihn begeistert durchliest, hat eigentlich schon aufgegeben.
Erich Fromm (1900-1980), der 1934 aus Deutschland in die USA emigrierte,
galt als Psychoanalytiker. Dabei behauptet er im Gegensatz zu Freud,
der Mensch sei kein triebhaftes, sondern ein kulturell geprägtes
Wesen. Er glaubt an einen "rationalen Glauben" und entwickelt
eine erbauliche, religionskompatible Gänseblümchenpsychologie.
Fromm kritisiert die "Konformität" der kapitalistischen
Gesellschaft und zeichnet doch nur erzkonservative Bilder, er will die
Frau als gebende Mutter, den Mann als kreativen Denker, er will die
"Polarität der Geschlechter".
Dieser große Humanist, liebe Liebenden, fertigt die Gleichgeschlechtlichkeit
mit einem einzigen Satz ab: "Die homosexuelle Abweichung von der
Norm entsteht dadurch, daß diese polarisierte Vereinigung nicht
zustande kommt und daß der Homosexuelle hierdurch unter dem Schmerz
und der nicht aufgehobenen Getrenntheit leidet". Schwule und Lesben
sind prinzipiell unglücklich und lieben ganz falsch.
Nehmen wir ein korrektes Musterpaar. Unser wurzelbürstengesunder
Boy hat schon vor dem Verlieben eifrig Selbsterkenntnis gesammelt, und
unser Girl (sauberer als Doris Day nach einer Domestos-Dusche) ebenfalls.
Sie treffen sich im Pfadfinderlager. "Liebe kann zu dem Wunsch
führen, sich körperlich zu vereinigen ...", zitiert Boy
zögernd seinen Guru, aber Girl ergänzt hastig: "... in
diesem Fall ist die körperliche Beziehung ohne Gier, ohne den Wunsch,
zu erobern oder sich erobern zu lassen ..."
Finger weg. Fromm sind alle heftigen Gefühle verdächtig. Benötigt
werden besonnene Menschen, die absolut "eins" mit sich sind.
"Liebe ist nur möglich, wenn sich zwei Menschen aus der Mitte
ihrer Existenz heraus miteinander verbinden", haben Boy und Girl
gelernt, "Liebe ist etwas, das man in sich selbst entwickelt, nicht
etwas, dem man verfällt", sagen sie artig auf und gleiten
solo in ihre Seelenwerften.
Unzählige Analyse-Jahre vergehen, während das Verfallen verfällt.
Ein papstfreundliches Verhütungsmittel. Realistischerweise sind
Boy und Girl nach innerster Tiefenreinigung ein reifer Mönch und
eine weise Nonne. Bevor sie endlich ihre Gebissreiniger austauschen,
kommt der nächste Haken: "Achtung vor einem anderen ist nicht
möglich ohne ein wirkliches Kennen des anderen", ermahnen
sich beide und holen erst mal ihre Babyfotos. Mit 66 ist noch lange nicht
Schluss.
Die Frommsche Kopfgeburt ist ein nettes Geschenk - zum Rentenbescheid.
Die Verlage wissen das: Nicht umsonst gibt es das Buch auch im Großdruck. |
▲ Magazin Bücher 3/2004
▲ aus: Bücher 3/2004
▲ Erich Fromm: Die Kunst des Liebens (1956)
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