Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. München, Siedler 2007.
Heimo Schwilk: Ernst Jünger. München, Piper 2007.
In: Am Erker Nr. 55, Münster, Juni 2008.
Elefantenrennen
Zwei einander äußerlich ähnliche, dicke Bücher, gleich teuer, gleichformatig, wollen jeweils "die Biografie" über Ernst Jünger sein. Heimo Schwilk, der bereits 1988 die wichtigste Monografie zu Jünger veröffentlichte, hatte oft Kontakt zum Autor und auch Zugang zu dessen Privatarchiv. Der Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel gab den Briefwechsel zwischen Jünger und Carl Schmitt heraus.
Schwilks seit Jahren erwartetes Buch ist die typischere Biografie. Allerdings scheint seine Einsicht in Jüngers persönliches Archiv keinen Wettbewerbsvorteil mit sich zu bringen - schwerer wiegt seine Grundsatzentscheidung, die kaum zu erfassende Person Jüngers auf Kosten der Einheitlichkeit scharf zu profilieren. Während sich Kiesel weitgehend an das hält, was Jünger selbst immer angestrebt hat (z.B. durch Glättungen alter Fassungen zugunsten späterer Ansichten und Stile), und eine homogene Betrachtung von Person und Werk vorlegt, stellt Schwilk die biografischen Kampfschauplätze deutlich heraus, angefangen bei den traumatischen Erfahrungen in den wechselnden "Lehranstalten". Das Faktische liefert bei Schwilk oft eher Munition für Jünger-Gegner: die Ordensgier, die auch Kameraden gefährdende "Entrückung" im Krieg oder der goethische Stil in den Stahlgewittern. Schwilks farbige Darstellung der Weimarer Zeit, der heute widerwärtig erscheinenden Hassprediger-Epoche Jüngers in den Zwanzigern, ist glänzend. Jünger will radikaler, wahrhaftiger und deutscher sein als Hitlers Partei, die er kleinbürgerlich findet - wodurch seine Haltung ab 1933 überhaupt erst Evidenz gewinnt. Das allen anti-bourgeoisen Ansprüchen zum Trotz biedere Leben in Leipzig und Berlin, dieses Was-uns-nicht-abhärtet-bringt-uns-um, zeichnet gerade Schwilk mit kräftigen Strichen.
Dann das Problem des Antisemitismus: Mag Jünger im Dritten Reich auch Juden geholfen haben, so vertritt er während der radikalen Jahre 1923-30 doch deutlich eine Apartheids-Position, eine Haltung also, die der Assimilation eine Absage erteilt und stattdessen ein Bild von "Wasser" und "Öl" aufbaut - das allerdings keinerlei direkte Aggression beinhaltet, lediglich eine bewusste Abscheidung suggeriert.
Jüngers Versuch, das Abenteuerliche Herz von 1928/29 in sein bisheriges Schaffen einzugliedern, es als soldatisch und aggressiv zu verbrämen, zeigt sein Zappeln zwischen Ästhetisierung und Politisierung, zwischen steif-lächerlichem Kasino-Ton und Kunst. Das hatte auch finanzielle Gründe, denn die Herausgabe heroisierender Sammelbände scheint tatsächlich lukrativ gewesen zu sein - ein früher Image-Konflikt, markttechnisch betrachtet.
All das bietet inhaltlich auch Kiesel und liefert dazu eine vorbildlich genaue Analyse des Verhältnisses Jüngers zum Antisemitismus. Er stellt die vorherrschende "Hass-Kultur" der Antidemokraten während der Weimarer Republik als krankhaft bestätigendes Umfeld Jüngers dar. Während Kiesel jedoch immer eine gleichbleibende Distanz zum Objekt hält und damit unterschwellig eine durchgehende Beständigkeit von Persönlichkeit und Werk impliziert (die Sicht des Literaturwissenschaftlers ermöglicht kaum etwas anderes), lässt sich Schwilk auf die Sprünge in Jüngers Wesen ein, spürt den Haken nach, die er geschlagen hat, und sucht immer einen konkreten Zugriff auf die Person. Sein Umgang mit Jünger ist ruppiger und wirkt angemessener. Er hält sich auch bei der Bewertung der Jünger'schen Prosa diskret zurück, während Kiesel keinen Hehl aus seiner Bewunderung der Marmorklippen macht und das Pathetische gerne verteidigt, ja, selbst den papierenen Heliopolis-Roman "großartig" findet.
Immerhin ist man sich einig in der Hochschätzung der Tagebücher und der autobiografischen Essays. Die noch unstilisierten Originalfassungen der Strahlungen erschließen Jüngers Affären in Paris. Seine Beziehung zur Ärztin Sophie Ravoux, die ein wesentlicher Grund für das Verstummen der Korrespondenz mit Carl Schmitt war, die schwierige Beziehung mit seiner ersten Frau Gretha, seine emotionale Kälte - all das zeigt Schwilk deutlicher, als es bisher geschehen ist.
Er ruft auch ins Gedächtnis, dass der Hauptmann der Reserve Jünger 1939 natürlich ebenfalls den Eid auf den Führer leisten musste, der so vielen Soldaten Gewissensprobleme bereitete oder als Ausrede diente. Jüngers Ablehnung des Stauffenberg-Attentats hatte allerdings andere Gründe, die sich heute nicht mehr recht nachvollziehen lassen: Töte man Hitler, beschwöre man damit nur gesteigerte Gewaltexzesse herauf, dann werde nämlich "die Hydra einen neuen Kopf bilden". Heute meint man eher, dass die starr hierarchische Führerstaatsstruktur durch Hitlers Ermordung wesentlich leichter zusammengebrochen wäre. Jüngers stilisierender Platonismus erlaubte ihm aus inner-ideologischen Gründen hier keine andere Position. Schwilk hat vor kurzem in einem Zeitschriftenbeitrag berichtet, wie abrupt Jünger, angesprochen auf seine Rolle in der Wehrmacht in Paris, verstummt sei.
Jüngers Glaube in den ersten Nachkriegsjahren, handschriftlich vervielfältigte Manuskripte erreichten eine höhere Wirkung als massenhaft Gedrucktes, beschwört eine homöopathische Macht der Literatur. Dass dieser Effekt einzig auf seinem Prominentenstatus beruhte, schien Jünger seltsamerweise übersehen zu haben. In diesem Zusammenhang ist die Höhe der Honorare, die Jünger in den Fünfzigerjahren erhielt, interessant. Schwilk nennt hier - und Jünger wäre das gar nicht recht gewesen - die für die damalige Zeit beachtlichen Summen. (Kiesel dagegen schreibt: "Über Jüngers Einkünfte aus der literarischen Arbeit ist wenig bekannt; sie können aber in den fünfziger und sechziger Jahren nicht groß gewesen sein.") Es ist verdienstvoll, hier konkrete Zahlen auf den Tisch zu legen, auch das Spiel zwischen vier Verlegern darzustellen, und es beleuchtet gewissermaßen nachträglich Jüngers Verhältnis zu seinem so dominanten wie chauvinistischen Vater, dessen Geschäftstüchtigkeit er früher ablehnte.
Dass Peter de Mendelssohn in einer durchaus fundierten Strahlungen-Kritik (und auch -parodie) Jünger einen "Amateur" nannte, ist symptomatisch für eine radikale Veränderung der Geisteslage in Deutschland: Ab den Fünfzigerjahren stand analysierender Verstand gegen mystisches Wollen, rationale Geschichtswissenschaft gegen raunende Äonen-Schau. Die Arbeiter-Prophezeiung hätte leicht zu Jüngers Farbenlehre werden können, aber sowohl Schwilk als auch Kiesel erwähnen nicht, dass Jünger in seinen letzten Jahrzehnten diese Fantasie immer seltener erwähnte und sie gewissermaßen einen unsoldatischen Tod sterben ließ. Bei Schwilk erhält Der Arbeiter im Gegensatz zu Kiesel ein viel zu geringes Gewicht, Kiesel andererseits findet diese esoterische Schrift "grandios".
Die große Stärke von Kiesels Darstellung, der beeindruckend ausgreifende Horizont der Zeitumstände, der literarische Materialreichtum, die wunderbar genaue Textarbeit und absolut vorbildliche Hermeneutik - all das bildet zugleich auch die einzige Schwäche des Buches, denn sie hat zum Glätten von Unebenheiten und Kanten geführt. Diese nicht nur als Faktum zu erwähnen, sondern sie konkret darzustellen, für den Leser spürbar werden zu lassen, ist die Eigenart Schwilks.
Uneingeschränkte Empfehlung: Als Biografie im engeren Sinne ist Schwilks Buch vorzuziehen, möchte man jedoch den Schwerpunkt auf Werkanalyse und Zeithorizont legen, greife man zu Kiesel. Falsch liegen kann man gar nicht. |
▲ Am Erker Nr. 55 (2008)
▲ Heimo Schwilk: Ernst Jünger (2007)
▲ Helmuth Kiesel: Ernst Jünger (2007)
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