In den ersten sieben Ausgaben der Zeitschrift "Bücher" standen meine sieben Beiträge zur Kolumne "Überschätzte
Bücher": Polemiken auf Bestseller (gerne Schullektüren).
Hier die unredigierten Fassungen.
Überschätzte Bücher, Bücher 4/2004, Essen, Mai 2004.
Peter Handke: Die drei Versuche
Zweihundert Jahre vor Big Brother richteten sich Adlige in ihren Parks kleine Grotten oder Hütten ein und engagierten sogenannte "Zier-Eremiten": zottelbärtige Männer, die dort in Sack und Asche für entzückte Spaziergänger posierten. Peter Handke lädt sogar selber ein, ihm beim "Scheusein" zuzuschauen. Eigentlich müssten vor seinem Haus täglich Busladungen von Japanern ausgekippt werden, die den professionell Verhuschten mit ihren klickenden Auslösern quälen. The Artist formerly known as 'Dichter' nannte drei seiner Texte kokett "Versuche" und reihte sie auf wie die Kantschen Kritiken.
Er behandelt zunächst "die Müdigkeit". Ein Kind quält sich damit, beim Gottesdienst in der Dorfkirche immer wieder beinahe einzuschlafen. Das könnte selbstironisch gemeint sein. Aber Handke fragt und antwortet sich selbst, als wäre er sein eigener weihevoller Märchenonkel. Er ist darauf angewiesen, dass sich jeder Lesende im bloßen Akt des Handke-Aufschlagens schon für einen edlen Empfindsamen hält und mitsamt dem Poeten ins geduldige Papier flüchtet. Die Bösen sind die "Putzmunteren", die nicht "so rechtschaffen müde wie wir Dörfler damals" sind, ja, mit Forke in der Hand raunt der Autor von den kuhgütig-müden Ländlern seiner Kindheit und verbreitet bräunlichen Bauernstubenkitsch: "Ich weiß, daß diese Zeit eine heilige war."
Im zweiten "Versuch" flaniert er durchs provinzielle Spanien auf der Suche nach Musikautomaten. Es ist ihm nicht peinlich, sich als Schreibenden zu beschreiben, der eben diesen "Versuch über die Jukebox" schreiben will. Ewiglang listet Handke auf, in welchem Kaff eine Jukebox steht oder in welchem keine steht oder in welchem eine stehen könnte - wie ein harmloser Irrer, der mit Schmetterlingsnetz durchs Gebüsch hascht. Pausenlos reflektiert er über das Anfangen des Textes selbst und stellt gekonnt Langweiligkeit durch Langweiliges dar - alles wäre absurdes Theater, ist aber leider ernst gemeint. Genau in der Mitte schockiert er mit einem plötzlichen altväterlichen Satz: "Dabei nun geschah etwas mit ihm." Herzklopfen! Doch es geht ebenso dröhnig weiter. "Freilich quälte es ihn längst nur noch - buchstäblich jede Nichtigkeit (...) drängte sich auf und wollte erzählt werden." Serviervorschlag: Spanien-Urlauber nehmen die schönen Landschaftsschilderungen und verstehen diese als die Singles einer höheren Jukebox.
Im dritten "Versuch" packt Handke noch einen drauf und verfällt in einen jaulenden Nietzsche-Ton: "Laß spüren den Tanz des geglückten Tags. Sing mir das Lied vom geglückten Tag!" Aber der schnauzbärtige Prophet - hört, meine Brüder! - reflektiert wie immer über das Reflektieren und sondert wieder ein leeres Märchen ab: "Ich habe von dem geglückten Tag keine einzelne Vorstellung, keine einzige." Macht nichts, es reicht trotzdem für Orgien an rhetorischen Fragen, für Paulusbriefe, Beschwörungen des "Bleistiftgeruchs" und solche Sätze: "Und was tat dieses Nichts und wieder Nichts? Es bedeutete." Wie war das mit der bleiernen Müdigkeit in der Dorfkirche? |
▲ Magazin Bücher 4/2004
▲ Peter Handke: Die drei Versuche
▲ Peter Handke: Versuch über die Müdigkeit (1989)
▲ Peter Handke: Versuch über die Jukebox (1990)
▲ Peter Handke: Versuch über den geglückten Tag (1991)
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