Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne. Eine Vermutung. München, Knaus 2005.
In: Macondo 16, Bochum, Dezember 2006.
Von Island zu Eylandt
Es erscheinen immer mal wieder Bücher, die verblüffende Deutungsmöglichkeiten für längst abgenickte Literaturgeschichtsversionen anbieten. Michael Maars Das Blaubartzimmer stellte 2000 die These hin, durch Thomas Manns Werk ziehe sich die Spur eines von Mann mindestens beobachteten, wenn nicht gar mitverschuldeten Gewaltverbrechens. Maar lieferte eine spannende Indizienkette, ließ sogar zeitgenössische Polizeiakten aus dem Staatsarchiv von Neapel untersuchen, doch letzte Beweise musste er schuldig bleiben.
Alex Capus trumpft jetzt damit auf, dass Robert Louis Stevenson nach dem Erfolg von Treasure Island die tatsächliche Schatzinsel selbst gefunden haben könnte, den real existierenden Schatz dort konspirativ hob und unter Mithilfe seiner Familie verflüssigte.
Beide Bücher sind hinreißende Schmöker, gerade weil sie nicht mit beliebig kombinierbaren Zeichen aus frühgeschichtlichem oder christlich-klerikalem Fundus um sich werfen. Nun hatte Maar vorsichtiger vorzugehen als Capus, da es viel mehr um Text-Interpretation ging und Thomas Mann im Fadenkreuz unzähliger untereinander rangelnder Germanisten steht, zudem auch nicht gerade das Image eines Abenteurers hat. Die neue Legende zu Stevenson dagegen passt wie die Räuberpistole zum Piraten. Man liest das einfach zu gerne.
Was ist die Story? Schon zu Stevensons Zeit galt das kleine Cocos Island vor der Küste Mittelamerikas als die Schatzinsel schlechthin, weil der Kirchenschatz von Lima hier 1821 begraben worden sein sollte, wofür es glaubhafte Zeugenaussagen gab. Stevenson war das alles gut bekannt. Diverse Schatzkarten kursierten, und Heerscharen von Glücksjägern machten sich (bis heute!) auf die Suche, gruben die triefnasse, menschenfeindliche Vulkaninsel um und um. Niemand fand auch nur einen Taler. Capus stellt diese Geschichte und die Geschichten der wühlenden Desperados herrlich plastisch dar.
Laut der Legende im Nachwort des Buches kam ein Freund von Alex Capus darauf, ältere holländische Seekarten zu studieren. Er fand heraus, dass die Insel Tafahi bei Samoa, über 8000 Kilometer von Cocos Island entfernt, ursprünglich 'Cocos Eylandt' getauft worden war. Stevenson kann dieses Faktum sehr wohl erfahren haben bei seiner Ankunft 1889 auf Samoa, und vielleicht schloss er messerscharf, dass die Schatzräuber von 1821 zwar nicht gelogen, aber statt 'Island' eben 'Eylandt' gemeint hatten. Verdächtig schnell jedenfalls entschied er, auf Samoa seine letzten Lebensjahre zu verbringen, obwohl er sich während seiner Südsee-Tour bis dahin ablehnend über die unwirtliche Umgebung geäußert hatte und das Klima seiner Tuberkulose gar nicht gut tat. Er kaufte mit dem letzten Rest seines Vermögens ein Stück Dschungel auf Samoa, hatte kein Geld mehr für den Hausbau - doch sehr bald brach bei den Stevensons ein unerklärlicher Reichtum aus, und er ließ sich eine prachtvolle Villa errichten, die noch heute existiert.
Capus sammelt Hinweise darauf, dass Stevenson tatsächlich nahe Samoa den sagenhaften Schatz fand, dass er während mehrerer kleiner Reisen nach Tafahi den Schatz abtrug und dass seine Familienmitglieder eifrig damit beschäftigt waren, die historische Hehlerware in den größeren Städten rund um die Südsee herum flottzumachen, sie in der Zivilisation zu legalisieren wie Drogengelder. Die Stevenson-Sippe konnte noch viele Jahrzehnte nach dem Tod des Autors in Saus und Braus leben. Und nie-nie-nie soll etwas davon durchgesickert sein? Diese Reisen im Licht der Sterne klingen wie eine faszinierende Area-51-These der Literaturwelt.
Übrigens: Capus erwähnt, dass jenes vulkanische Cocos Eylandt durch natürliche Veränderungen längst nicht mehr der Stevensonschen Insel entspreche - falls also noch etwas vom Schatz existiere, sei der mittlerweile unauffindbar. Das sagt er natürlich nur so. |
▲ Macondo 16 (2006)
▲ Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne
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