Rezensionen
für Am Erker

 
   

Iceberg Slim: Pimp. Story of my Life [1967]. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Schmid. Hamburg / Wien, Europa-Verlag 2003.

In: Am Erker 47, Münster, Juni 2004.

Hure der Huren

Ein amerikanisches Ludenleben: Iceberg Slim (1918-1992) versumpft nach chaotischer Kindheit im Schwarzen-Ghetto, landet hinter Gittern, will Zuhälter werden wie seine Idole, schaut sich auf der Straße die entsprechenden Methoden ab, lernt Sex bei einer erfahrenen Mätresse, heuert seine ersten Mädchen an und prügelt sie lehrbuchgemäß durch. Selbstverständlich verehrt er seine Mutter. Er wird wieder verhaftet, unterwirft nach der Entlassung seine Haupthure, die er "Zwerg" nennt, und schafft es schließlich, beim Ober-Pimp von Chicago eine Art Lehre anzufangen.
Was klingt wie ein ellenlanges Rappervideo, ist ein beeindruckend konsequenter und sauber erzählter Roman von 1967. Icebergs Jagdrevier, der Kiez, wirkt geradezu geschichtslos. Ob 1934 oder 2004: Die sozialen Strukturen sind dieselben, die Drogen, die Plattenspieler, die Neonschilder, die Autoradios - eigentlich ändern sich nur die Fahrzeugmarken. Die Furcht erregende Nummer Eins der Loddelszene, Sweet Jones, für den die tollsten Mädchen laufen und der die dekadentesten Feste feiert, fährt einen Duesenberg. Er treibt dem jungen Iceberg das maskenhafte Grinsen aus und schenkt seinem Azubi solche Merksprüche: "Ein Lude ist im Grunde nichts weiter als eine Hure, der Huren gegenüber den Spieß umgedreht hat."
Wer dieses Buch liest, geht in die Lehre. Die "Hure der Huren" liefert keine die Jugend mahnende Beichte, sondern beschreibt rationale Handlungen, eher eine Bedienungsanleitung, ohne Schuldgefühle. An Pimp orientierten sich schon Generationen von Kiezgorillas. Ohne groß aufzufallen, könnten Snoop Dogg und Tricky in einem Retro-Car zwischen brennenden Mülltonnen durch den Text fahren. Die Hiphop-Kultur hat das Feld für diese deutsche Erstausgabe bestens bereitet, und mit dem Abstand von gut siebzig Jahren ist der 'fette' Ghettosound mal anregend exotisch, mal 'krass' unterhaltsam. Trotz der tiefsitzenden Frauenverachtung und der widerlichen Gewalt gegen die "Schnallen" fasziniert Pimp wegen der Systematik des Luden, der seine Brutalität einfach betriebsnotwendig findet. Die Frauen, die sich in Iceberg verlieben und sich von ihm grün und blau schlagen lassen, sind jedesmal zeitlich begrenzte Anlagen, er quetscht Kapital aus und hält seine Huren auf emotionaler Distanz. Iceberg, der sich in frühen Jahren als Mädchen verkleidete, um einem Gangster reiche Typen zuzuführen, Iceberg, der einmal gar nicht so ungern auf einen schönen Transvestiten hereinfiel, schminkt sich für seine Freierinnen, um ihnen zu gefallen, und lässt nie durchblicken, wofür er ihre Einnahmen verwendet. Aber der Leser weiß, dass das viele Geld einen ewigen Kreislauf anheizt.
Auch literarisch entsteht die Intensität durch einen Tunnelblick, der kaum vom Thema abweicht und bei aller Dichtheit und opulenter Ausstattung das unterschlägt, was nicht in die orgiastische Welt der ständigen Pferdchenzähmung, der Geldscheinrollen, des Revierkampfs und der Knasteinlagen passt. Icebergs Leben will nur sich selbst, es wirkt in seiner Beschränktheit so phantasielos wie rauschhaft, so easy wie mühsam, weil alles auf Körperlichkeit, Pose und taktischer Gewalt basiert: "Sie spürten meine Kenntnis der menschlichen Natur". Vieles ist zu prosaisch ausgemalt, um original autobiografisch sein zu können. Zum Schluss hin wird er körperlich schwächer und damit milder. Dann stirbt seine Mutter, und Iceberg beendet die Loddelei. Eigentlich bewirkt nur das Nachlassen seiner Gewaltfähigkeit die Moralität.
Er beeilt sich, noch schnell von seinem bürgerlichen Folgeleben mit Normalo-Job, geliebter Frau und Kindern zu schwärmen. Wie es heute jeder Gangsta tut.

Am Erker Nr. 47
▲ Am Erker Nr. 47 (2004)

Iceberg Slim: 'Pimp. Story of my Life'
▲ Iceberg Slim: Pimp. Story of my Life (2003)